Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand

Mit Leichtigkeit führt Jonas Jonasson durch ein paar wilde Monate des hundertjährigen Allan Karlsson und parallel durch sein hundertjähriges Leben. Dabei verwickelt das einfache Gemüt nach dem Motto „wat kütt, dat kütt“ oder „wat mutt, dat mutt“ Karlsson immer wieder in kuriose Situationen, seien es Trinkgelage mit bekannten Präsidenten oder zufällige Morde, die so nicht geplant waren aber irgendwie gekommen sind; und sich dann ganz anders raus stellen. Aber jetzt bin ich schon zu weit im Buch. Immer, wenn man glaubt, dass er jetzt dran ist, im hundertjährigen Leben oder aber auch als Hundertjähriger, geschieht eine unglaubliche Wendung und alles ist ganz anders, jedenfalls als man gedacht hat, während man gelesen hat, wie es sich entwickelte. 

Unbedingte Leseempfehlung

Jonasson, Jonas
Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand
Roman
Originaltitel: Hundraåringen som klev ut genom fönstret och försvann
Übersetzung: Kuhn, Wibke
Aus der Reihe:  Penguin Taschenbuch – 10236
Kartoniert, 432 S.
Verlag: Penguin Verlag München(2017)
ISBN-13: 978-3-328-10236-6Preis: 10,00 €

Temperaturempfinden

„Wenn auf der Temperaturanzeige 35 steht und ich rausgehe und friere, dann ist es kalt.“ Abschließende Feststellung des Chaosgirls*) im Rahmen der Diskussion über die Temperaturen heute.
Auf der Anzeige stand 19. Man könnte bei dem stetigen norddeutschen Wind, der ums Haus weht, also tatsächlich von einer eher kühlen Außentemperatur ausgehen, auch wenn man nicht das Temperaturempfinden des Chaosgirls hat. Aber das tut bei der, aus der Frage „Wie kalt ist es denn heute?“ hervorgehenden Generaldiskussion über das Temperaturempfinden im Allgemeinen und das des Chaosgirls im Besonderen, nichts mehr zur Sache.

*) mehr zum Chaosgirl demnächst.

Caspar David Friedrich – eher so der romantische Typ

Wer war dieser Typ, der seine romantischen Bilder wie aus dem Montagekasten schuf, wie große Collagen? Und stimmt das, dass er keine Gesichter malen konnte und dass dies auch der Grund dafür ist, dass wir die Menschen auf seinen Bildern immer nur von hinten sehen?

Im neuen Podcast „Augen zu!“ unterhalten sich Floiran Illies und Giovanni di Lorenzo über Caspar David Friedrich und klären auch gleich die beiden gestellten Fragen.

Hier geht´s zum Podcast.

PS: Als ich heute Abend auf dem Weg ans Meer war, hatte der Himmel so eine caspardavidfriedriche Stimmung, wie ich fand:

Lesen verlängert die Lebenszeit

… jedenfalls gefühlt ist das so. Jedes Mal, wenn ich mich ins Lesen vertiefe, dann vergehen die Stunden wesentlich langsamer und unzählige Bilder durchstreifen meinen Kopf. Vielleicht ist es die schnelle Abfolge der Bilder oder das im Kopfkino erlebte, das die Zeit vermeintlich so langsam dahingehen lässt. Ganz anders, wenn ich vor dem PC sitze und etwas mache, und sei es nur, diesen Text zu schreiben. Dann fliegt die Zeit nur so dahin und ich staune, wenn ich aufschaue und es sind zwei Stunden ins Land gegangen. 

Manchmal bin ich überzeugt, dass ich in zwei Universen lebe, das Leseuniversum und das – na ja, alles andere Universum. 

Deshalb schreibe ich hier jetzt auch nicht weiter. Der Espresso ist alle und ich flüchte mich jetzt wieder in das Universum, in dem es langsamer zugeht. Vielleicht erreiche ich ja dann auch die 100 Jahre und steige aus dem Fenster und verschwinde.

Gerade angekommen: Adalbert Stifter „Der Nachsommer“ mit Illustrationen von Anton Wichtl

Ich hatte das Buch, ein Bildband mit Illustrationen von Anton Wichtl zu Textausschnitten aus Adalbert Stifters „Der Nachsommer“, kurz vor meinem Urlaub bestellt. Es war vergriffen und sollte noch ein paar Tage brauchen, bis es der Großhänder liefern kann. Dann, just an unserem Abreisetag kam es an, aber ich habe die Mail des Buchhändlers meines Vertrauens nicht mehr gesehen. Kurzerhand hat er es mir dann kostenlos nachgeschickt. Nach einer knappen Woche hat es die Deutsche Post dann auch geschafft, mir die Büchersendung zuzustellen.

Herzlichen Dank an Hans-Bernhard Bessler von Bücher Bessler in Worms.

Wellen (Eduard von Keyserling)

Eine adlige Gesellschaft der Gräfin Palikow findet sich in einem Fischerdorf an der Ostsee zur Sommerfrische ein. Nach und nach treffen die manchmal recht komplizierten Charaktere ein.

Im gleichen Dorf wohnt der Maler Hans Grill, der im Rahmen eines Auftrags die Gräfin Doralice kennen und lieben lernte und sie ihrem ebenfalls adeligen Ehemann ausgespannt hat. Nach ihrer Scheidung hat sie gesellschaftlich nichts mehr zu verlieren. Doralice wird als sehr hübsche und mit ihren Reizen spielende Frau gezeichnet, die promt den Herren der Adelsfamilie Palikow die Augen verdreht. Es kommt, wie es kommen muss, Verwicklungen, Abreise der Familie Palikow. Zuvor versucht sich die, sagt man bei Frauen auch gehörnte, Verlobte des um Doralice besonders werbenden Leutnant Hilmar, das Leben zu nehmen, was jedoch scheitert; sie wird gerettet. Anders ergeht es dem Maler Hans Grill, der von einer Ausfahrt mit einem der Fischer nicht mehr zurück kehrt.

Die Fadenstränge der einzelnen Protagonisten verknüpft sehr geschickt der bucklige Geheimrat Knospelius, der sich am Ende der verwitweten Doralice für eine Reise in den Süden empfiehlt.

Wer Gesellschaftsromane des ausgehenden 19. Jahrhunderts, hierhin würde ich den Roman zeitlich verorten, mag, wird „Wellen“ von Eduard von Keyserling verschlingen.

Eduard von Keyserling
Wellen

2017 Anaconda Verlag GmbH, Köln
Hardcover, Pappband, 192 Seiten
Preis: 3,95 €
ISBN: 978-3-7306-0474-8
Link zum Buch

Laufen (Isabel Bogdan)

Laufen, das ist so eine Sache. Es gibt wenige Momente, in denen man so wirklich ganz alleine ist. Laufen, das ist so ein Moment. Selbst wenn man die Kopfhörer in den Ohren hat und man ein Hörbuch hört oder Musik zum Laufen, selbst wenn da noch jemand neben einem läuft, beim Laufen ist man fixiert auf seinen Körper, auf sich selbst. Und auf seinen Kopf und was darin vorgeht.

Haben Sie schon einmal einem anderen Menschen beim Laufen ins Gehirn geschaut? Was da so drin abgeht? Isabel Bogdan hilft Ihnen dabei; wenn Sie wollen. In ihrem Buch „Laufen“ nimmt sie uns Leserinnen und Leser mit auf die Laufstrecken einer fiktiven Läuferin und lässt uns in die Gedankenwelt der Läuferin, einer Bratschistin, die ihren Mann verloren hat, schauen. Die Geschichten um die Protagonistin laufen im Hintergrund ab, nur ihn ihrem Kopf und wir Leser erleben sie aus dem Gedankenstrom der Läuferin heraus. Was für eine tolles Stilmittel.

Bogdan nimmt uns auf viele Läufe der Protagonistin über mehrere Monate hin mit. Die Läuferin entwickelt sich Stück für Stück vom Weglaufen zu neuen Perspektiven für sich. Anfänglich ist die Sprache hektisch, unsortiert in langen Gedankenreihen, verschachtelt; so wie die Gedanken nun mal beim Laufen sind, wenn man nicht richtig weiß, wo die Gedanken, aber auch man selbst, hinlaufen will. Dann, ab etwa der Hälfte des Buches, wird die Sprache ruhiger, die Sätze kürzer, machmal vielleicht schon zu sehr vom Charakter, jemandes, der eher im Sessel sitzt und wohl überlegt, denn von einer Läuferin. Aber das tut keinen Abbruch, denn immer wieder flammen auch die typischen Laufgedankenreihen auf.

Wunderschön schräg sind die Gedanken zuweilen, wenn sie anderen Läufern begegnet und sie charakterisiert. Alles lenkt ab vom Schmerz über einen geliebten verlorenen Menschen, der im Mittelpunkt steht. Aber beides nimmt auch ab, der Schmerz und der im Mittelpunkt stehende Mensch; zumindest die Form der Erinnerung an ihn.

Begleitet, nicht bei den Läufen, jedoch mental zur Bewältigung ihrer Trauer, wird die Läuferin von ihrer langjährigen Freundin Rike und der Psychotherapeutin Frau Mohl. Beide finden stets den richtigen Ton, die richtigen Worte und manchmal auch den richtigen Schubser.

Ich bewundere Isabel Bogdan dafür, dass sie es geschafft hat, den ganzen Roman komplett aus dem Gehirn der Protagonistin heraus zu schreiben; ganz ohne wirkliche Brüche.

Ein äußerst lesenswertes Buch.

Isabel Bogdan
Laufen
Kiepenheuer & Witsch, 2021

208 Seiten, gebunden
Preis: 20,00 €
ISBN-13: 978-3-462-00158-7
Alle weiteren Infos beim Verlag, incl. Lesetermine. Hier klicken.
Und hier geht´s zur „Laufen“-Seite von Isabel Bogdan.

Psychogramme um einen toten Pfau

Isabel Bogdan
Der Pfau

Weil ein Pfau blau sieht, ist es mit der Ruhe im idyllischen Tal am Rande der schottischen Highlands schnell vorbei. Der psychopathische Pfau ist der Einstieg und der Angelpunkt, um den sich alles im Debütroman von Isabel Bogdan dreht. In der Geschichte ist er länger tot als lebendig; dennoch wirbelt er eine ganze Gesellschaft durcheinander. Eine Gesellschaft, die ähnlich wie der Pfau, mit ihren psychischen Problemen und Problemchen zu kämpfen hat.

Ein größeres Anwesen in besagtem Tal wird von deren Lord und Lady vermietet; im Zentrum der Geschichte an eine Gruppe von Investmentbankern, die von ihrer Chefin, selbige von ihrem Chef zu einem Teambuilding-Wochenende verdonnert sind. Jeder Einzelne mit seinem Päckchen aus Vergangenheit und beruflicher Anforderung und Überforderung, mit den Zutaten einer gewitzten und tatkräftigen Köchin, die mehr tut als nur kochen und einer Psychologin, der eigentlich nichts so richtig gelingt, aber irgendwie dann wieder doch. Mehr sind es die Zufälle, die die Gruppe näher zusammenbringt und entwickelt, denn die Kunst der Psychologin, oder vielleicht doch, weil sie es schafft, aus dem Hintergrund und fast nebenbei gut zu moderieren?

Bogdan ist es gelungen, nachvollziehbare Charaktere zu entwickeln und sich Gruppendynamiken entwickeln zu lassen; mit Kerngruppe und Nebengruppen, mal näher dran, mal weiter weg zu spielen und ein eigenartiges Geflecht zu entwickeln, das insbesondere durch das, was die Protagonisten nicht preisgeben, verwoben ist.

Irgendwann ist der blauverrückte Pfau tot. Die sich daran entspinnenden (falschen) Vermutungen geben dem kurzzeitigen Zusammenleben aller Beteiligten die Würze der Geschichte; sei es der Lord, der den Pfau tatsächlich auf dem Gewissen hat oder der Hund der Chefin der Truppe, von dem vermutet wird, dass er den Pfau gerissen habe, bis hin zur Köchin, die … aber das würde jetzt zu weit führen.

Das Buch macht dem Begriff des Unterhaltungsromans alle Ehre. Ich habe es in einem Rutsch durchgelesen nur unterbrochen von einem, wenn auch kurzen nächtlichen Schlaf – das ließ sich dann nicht vermeiden; aber ich meine, selbst im Traum sei ein Pfau ein paar mal aufgetaucht.

Isabel Bogdan „Der Pfau“
Gebundenes Buch: Kiepenheuer & Witsch 2016, ISBN-13 978-3-462-04800-1, 256 Seiten, 18,99 €
Taschenbuch: Insel Verlag 2018, ISBN-13: 978-3-458-36297-5, 247 Seiten, 10,00 €
E-Book: Kiepenheuer & Witsch 2016, ISBN-13: 978-3-462-31536-3, EPUB, 9,99 €

Quelle: Buchkatalog

Link zur Autorin Isabel Bogdan

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