Lesen verlängert die Lebenszeit

… jedenfalls gefühlt ist das so. Jedes Mal, wenn ich mich ins Lesen vertiefe, dann vergehen die Stunden wesentlich langsamer und unzählige Bilder durchstreifen meinen Kopf. Vielleicht ist es die schnelle Abfolge der Bilder oder das im Kopfkino erlebte, das die Zeit vermeintlich so langsam dahingehen lässt. Ganz anders, wenn ich vor dem PC sitze und etwas mache, und sei es nur, diesen Text zu schreiben. Dann fliegt die Zeit nur so dahin und ich staune, wenn ich aufschaue und es sind zwei Stunden ins Land gegangen. 

Manchmal bin ich überzeugt, dass ich in zwei Universen lebe, das Leseuniversum und das – na ja, alles andere Universum. 

Deshalb schreibe ich hier jetzt auch nicht weiter. Der Espresso ist alle und ich flüchte mich jetzt wieder in das Universum, in dem es langsamer zugeht. Vielleicht erreiche ich ja dann auch die 100 Jahre und steige aus dem Fenster und verschwinde.

Gerade angekommen: Adalbert Stifter „Der Nachsommer“ mit Illustrationen von Anton Wichtl

Ich hatte das Buch, ein Bildband mit Illustrationen von Anton Wichtl zu Textausschnitten aus Adalbert Stifters „Der Nachsommer“, kurz vor meinem Urlaub bestellt. Es war vergriffen und sollte noch ein paar Tage brauchen, bis es der Großhänder liefern kann. Dann, just an unserem Abreisetag kam es an, aber ich habe die Mail des Buchhändlers meines Vertrauens nicht mehr gesehen. Kurzerhand hat er es mir dann kostenlos nachgeschickt. Nach einer knappen Woche hat es die Deutsche Post dann auch geschafft, mir die Büchersendung zuzustellen.

Herzlichen Dank an Hans-Bernhard Bessler von Bücher Bessler in Worms.

Wellen (Eduard von Keyserling)

Eine adlige Gesellschaft der Gräfin Palikow findet sich in einem Fischerdorf an der Ostsee zur Sommerfrische ein. Nach und nach treffen die manchmal recht komplizierten Charaktere ein.

Im gleichen Dorf wohnt der Maler Hans Grill, der im Rahmen eines Auftrags die Gräfin Doralice kennen und lieben lernte und sie ihrem ebenfalls adeligen Ehemann ausgespannt hat. Nach ihrer Scheidung hat sie gesellschaftlich nichts mehr zu verlieren. Doralice wird als sehr hübsche und mit ihren Reizen spielende Frau gezeichnet, die promt den Herren der Adelsfamilie Palikow die Augen verdreht. Es kommt, wie es kommen muss, Verwicklungen, Abreise der Familie Palikow. Zuvor versucht sich die, sagt man bei Frauen auch gehörnte, Verlobte des um Doralice besonders werbenden Leutnant Hilmar, das Leben zu nehmen, was jedoch scheitert; sie wird gerettet. Anders ergeht es dem Maler Hans Grill, der von einer Ausfahrt mit einem der Fischer nicht mehr zurück kehrt.

Die Fadenstränge der einzelnen Protagonisten verknüpft sehr geschickt der bucklige Geheimrat Knospelius, der sich am Ende der verwitweten Doralice für eine Reise in den Süden empfiehlt.

Wer Gesellschaftsromane des ausgehenden 19. Jahrhunderts, hierhin würde ich den Roman zeitlich verorten, mag, wird „Wellen“ von Eduard von Keyserling verschlingen.

Eduard von Keyserling
Wellen

2017 Anaconda Verlag GmbH, Köln
Hardcover, Pappband, 192 Seiten
Preis: 3,95 €
ISBN: 978-3-7306-0474-8
Link zum Buch

Laufen (Isabel Bogdan)

Laufen, das ist so eine Sache. Es gibt wenige Momente, in denen man so wirklich ganz alleine ist. Laufen, das ist so ein Moment. Selbst wenn man die Kopfhörer in den Ohren hat und man ein Hörbuch hört oder Musik zum Laufen, selbst wenn da noch jemand neben einem läuft, beim Laufen ist man fixiert auf seinen Körper, auf sich selbst. Und auf seinen Kopf und was darin vorgeht.

Haben Sie schon einmal einem anderen Menschen beim Laufen ins Gehirn geschaut? Was da so drin abgeht? Isabel Bogdan hilft Ihnen dabei; wenn Sie wollen. In ihrem Buch “Laufen” nimmt sie uns Leserinnen und Leser mit auf die Laufstrecken einer fiktiven Läuferin und lässt uns in die Gedankenwelt der Läuferin, einer Bratschistin, die ihren Mann verloren hat, schauen. Die Geschichten um die Protagonistin laufen im Hintergrund ab, nur ihn ihrem Kopf und wir Leser erleben sie aus dem Gedankenstrom der Läuferin heraus. Was für eine tolles Stilmittel.

Bogdan nimmt uns auf viele Läufe der Protagonistin über mehrere Monate hin mit. Die Läuferin entwickelt sich Stück für Stück vom Weglaufen zu neuen Perspektiven für sich. Anfänglich ist die Sprache hektisch, unsortiert in langen Gedankenreihen, verschachtelt; so wie die Gedanken nun mal beim Laufen sind, wenn man nicht richtig weiß, wo die Gedanken, aber auch man selbst, hinlaufen will. Dann, ab etwa der Hälfte des Buches, wird die Sprache ruhiger, die Sätze kürzer, machmal vielleicht schon zu sehr vom Charakter, jemandes, der eher im Sessel sitzt und wohl überlegt, denn von einer Läuferin. Aber das tut keinen Abbruch, denn immer wieder flammen auch die typischen Laufgedankenreihen auf.

Wunderschön schräg sind die Gedanken zuweilen, wenn sie anderen Läufern begegnet und sie charakterisiert. Alles lenkt ab vom Schmerz über einen geliebten verlorenen Menschen, der im Mittelpunkt steht. Aber beides nimmt auch ab, der Schmerz und der im Mittelpunkt stehende Mensch; zumindest die Form der Erinnerung an ihn.

Begleitet, nicht bei den Läufen, jedoch mental zur Bewältigung ihrer Trauer, wird die Läuferin von ihrer langjährigen Freundin Rike und der Psychotherapeutin Frau Mohl. Beide finden stets den richtigen Ton, die richtigen Worte und manchmal auch den richtigen Schubser.

Ich bewundere Isabel Bogdan dafür, dass sie es geschafft hat, den ganzen Roman komplett aus dem Gehirn der Protagonistin heraus zu schreiben; ganz ohne wirkliche Brüche.

Ein äußerst lesenswertes Buch.

Isabel Bogdan
Laufen
Kiepenheuer & Witsch, 2021

208 Seiten, gebunden
Preis: 20,00 €
ISBN-13: 978-3-462-00158-7
Alle weiteren Infos beim Verlag, incl. Lesetermine. Hier klicken.
Und hier geht´s zur „Laufen“-Seite von Isabel Bogdan.

Psychogramme um einen toten Pfau

Isabel Bogdan
Der Pfau

Weil ein Pfau blau sieht, ist es mit der Ruhe im idyllischen Tal am Rande der schottischen Highlands schnell vorbei. Der psychopathische Pfau ist der Einstieg und der Angelpunkt, um den sich alles im Debütroman von Isabel Bogdan dreht. In der Geschichte ist er länger tot als lebendig; dennoch wirbelt er eine ganze Gesellschaft durcheinander. Eine Gesellschaft, die ähnlich wie der Pfau, mit ihren psychischen Problemen und Problemchen zu kämpfen hat.

Ein größeres Anwesen in besagtem Tal wird von deren Lord und Lady vermietet; im Zentrum der Geschichte an eine Gruppe von Investmentbankern, die von ihrer Chefin, selbige von ihrem Chef zu einem Teambuilding-Wochenende verdonnert sind. Jeder Einzelne mit seinem Päckchen aus Vergangenheit und beruflicher Anforderung und Überforderung, mit den Zutaten einer gewitzten und tatkräftigen Köchin, die mehr tut als nur kochen und einer Psychologin, der eigentlich nichts so richtig gelingt, aber irgendwie dann wieder doch. Mehr sind es die Zufälle, die die Gruppe näher zusammenbringt und entwickelt, denn die Kunst der Psychologin, oder vielleicht doch, weil sie es schafft, aus dem Hintergrund und fast nebenbei gut zu moderieren?

Bogdan ist es gelungen, nachvollziehbare Charaktere zu entwickeln und sich Gruppendynamiken entwickeln zu lassen; mit Kerngruppe und Nebengruppen, mal näher dran, mal weiter weg zu spielen und ein eigenartiges Geflecht zu entwickeln, das insbesondere durch das, was die Protagonisten nicht preisgeben, verwoben ist.

Irgendwann ist der blauverrückte Pfau tot. Die sich daran entspinnenden (falschen) Vermutungen geben dem kurzzeitigen Zusammenleben aller Beteiligten die Würze der Geschichte; sei es der Lord, der den Pfau tatsächlich auf dem Gewissen hat oder der Hund der Chefin der Truppe, von dem vermutet wird, dass er den Pfau gerissen habe, bis hin zur Köchin, die … aber das würde jetzt zu weit führen.

Das Buch macht dem Begriff des Unterhaltungsromans alle Ehre. Ich habe es in einem Rutsch durchgelesen nur unterbrochen von einem, wenn auch kurzen nächtlichen Schlaf – das ließ sich dann nicht vermeiden; aber ich meine, selbst im Traum sei ein Pfau ein paar mal aufgetaucht.

Isabel Bogdan „Der Pfau“
Gebundenes Buch: Kiepenheuer & Witsch 2016, ISBN-13 978-3-462-04800-1, 256 Seiten, 18,99 €
Taschenbuch: Insel Verlag 2018, ISBN-13: 978-3-458-36297-5, 247 Seiten, 10,00 €
E-Book: Kiepenheuer & Witsch 2016, ISBN-13: 978-3-462-31536-3, EPUB, 9,99 €

Quelle: Buchkatalog

Link zur Autorin Isabel Bogdan

Was brauche ich wirklich?

Traumhaus

Jeden Tag wühle ich mich durch Krimskrams auf der Suche nach etwas, das ich gerade brauche. Und jedes Mal frage ich mich, warum dieser ganze Krimskrams überhaupt da ist? Irgendwann einmal, in grauer Vorzeit, muss ich ihn wohl gekauft, geschenkt oder sonst wie bekommen habe. Warum hebe ich das eigentlich alles auf? Antwort: Man könnte es ja noch mal brauchen. Aber mal ehrlich: ist das ein Grund?
Manchmal wünsche ich mir, ich könnte, ganz in Ruhe, noch einmal von vorne anfangen und nur das mitnehmen, das ich wirklich brauche. Was wäre das wohl? Was würde ich zurücklassen?

Mein Traum ist ein Tiny House mit so um die 30 Quadratmeter. Da passt einfach nicht viel rein. Da müsste ich dann wirklich sehr sorgfältig überlegen, was ich denn nun da rein stelle und was ich wirklich brauche. Ist schon alles etwas aberwitzig: Ich gebe das ganze Geld aus um mir das Zeugs zu kaufen, dann bezahle ich teuere Miete, damit ich den ganzen Kram unter bekomme und muss sortieren und organisieren, damit es mir in der großen Wohnung nicht im Weg steht. Irgendwie unlogisch aber zutiefst menschlich.

War Joseph Beuys ein Scharlatan?

Im Mai dieses Jahres wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden. Der Krefelder Beuys hat schon zu Lebzeiten die Kunstwelt gespalten.

Legendär der Spruch: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ wurde mehrmals bei ihm angewendet und die Kunst wurde zerstört, nicht als Aggression, sonder eher vor Unbedarftheit oder weil man eine mit Fett und Filz behandelte Kinderbadewanne vielleicht nicht als große Kunst wahrgenommen hat.

Auch interessant, wie Beuys sich eine eigene Wirklichkeit über sein Leben geschaffen und daraus seine Kunst und seine Aussagen hervorgingen.

Hier geht´s zum Podcast.

Immer wieder samstags

Samstage habe so eine ganz eigne Prägung. Für jeden Menschen wohl etwas anders. Meiner besteht aus viel Schlaf. Spätes Aufstehen und dann noch so zwei oder drei Mal in den Sessel fläzen; noch einmal eine Stunde oder so die Augen schließen. Keine Videokonferenzen, keine Arbeiten, die noch schnell fertig werden müssen. Man könnte, man sollte, man müsste! Ja klar, könnte, sollte, müsste man alles mal machen: Mal wieder die Küche aufräumen. Das Wohnzimmer sieht auch schon wieder aus. Der Wäschesammler; lieber nicht hinschauen. Merkt das jemand außer mir, wenn ich es liegen lasse und stattdessen die Seele baumeln lasse?

   Ich gebe zu, manchmal treibt mich die Erschöpfung dazu. Eine Woche mit vielen Terminen, abends viel zu spät ins Bett, morgens mit müdem Kopf wieder aufstehen, dann der Alltag. Ich genieße das Büro zu Hause. Nicht, dass das bei mir der Standard wäre. Aber wenn die Corona-Pandemie in den letzten Monaten für mich etwas Gutes hatte, dann dass mobile Arbeiten. Aber, es hat auch den Arbeitstag in die Länge gezogen. Klar, zwischendurch mal eine Hunderunde, aber schnell war es dann doch abends 19 Uhr und der Tag hatte mal wieder elf Stunden, abzüglich Hunderunde und so dann vielleicht 10 Stunden. Eigentlich hätte ich gerne die ganze Zeit in meiner zweiten Heimat gearbeitet, aber einmal die Woche musste ich dann doch ins Präsenzbüro und dann sind über 500 Kilometer einfach zu weit.

   Aber eigentlich war ich ja noch am Samstag dran. Irgendwann so gegen 19 Uhr wird mir dann klar, dass der Einkauf ja noch aussteht und doch einige Geschäfte in einer Stunde schließen. Also Einkaufszettel vervollständigen und los geht’s. Geschäfte strategisch auswählen und meine Runde drehen. Je später der Einkauf, desto leerer die Läden. Wenn ich kein 20-Uhr-Geschäft auf der Liste habe, dann kann das schon mal sein, dass ich erst nach 21 Uhr starte, dann habe ich Kaufland und Rewe fast für mich alleine – wären da im Rewe nicht die Spätpubertierenden, die noch ihren Stoff für den Samstagabend kaufen.

   Und während sie Ihren C2H6O genießen, bin ich erstaunt, dass es schon wieder auf Mitternacht zugeht und ich kaum was geschafft bekommen habe. Ich fläze mich dann in meinen Sessel und tue das, was ich am Samstag am liebsten tue: entspannen.

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